Warum der Kauf eines bestehenden Unternehmens oft der smartere Weg in die Selbstständigkeit ist – und worauf MBI-Kandidaten bei der Unternehmensnachfolge achten sollten. Ein Gespräch mit M&A-Berater Hubert Winkler von KERN.
Die Unternehmensnachfolge erlebt gerade einen bemerkenswerten Wandel. Immer mehr Menschen entdecken den Unternehmenskauf als Alternative zur klassischen Gründung. Doch was macht diesen Weg so attraktiv – und welche Fallstricke lauern auf dem Weg zum eigenen Unternehmen?
Hubert Winkler, Partner bei KERN – einer der größten Spezialberatungen für Unternehmenstransaktionen im deutschsprachigen Raum – und Mitgründer der digitalen Nachfolgeplattform Selvendo, gibt Einblicke aus seiner täglichen Praxis.
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Buy Your Own Job: Der unterschätzte Einstieg ins Unternehmertum
Eine Erkenntnis aus dem amerikanischen Markt bringt es auf den Punkt: “Buy your own job” – kaufe dir deinen eigenen Job. Was zunächst unspektakulär klingt, ist für viele MBI-Kandidaten der ideale Einstieg in die unternehmerische Selbstständigkeit.
“Man kauft sich ein stabiles Auskommen, das gegebenenfalls über dem aktuellen Gehaltsniveau liegt. Gleichzeitig erwirbt man vollkommene unternehmerische Freiheit, Gestaltungsfreiheit und Wachstumspotenzial.” – Hubert Winkler
Der große Vorteil gegenüber einer Neugründung: Man springt auf ein fahrendes System auf. Das bedeutet etablierte Kundenbeziehungen, eingespielte Prozesse und – besonders wertvoll – die Möglichkeit, vom Erfahrungsschatz des abgebenden Inhabers zu profitieren.
Das durchschnittliche Transaktionsvolumen bei Unternehmensnachfolgen in Deutschland liegt laut KfW-Studie bei nur 370.000 Euro – ein Bereich, der bisher oft vernachlässigt wurde, aber enormes Potenzial bietet.
Die richtige Vorbereitung auf die Unternehmensnachfolge
Das persönliche Fundament
Bevor die Suche nach dem passenden Unternehmen beginnt, steht die Klärung der persönlichen Situation. Wer verheiratet ist, Kinder hat oder gerade eine Immobilie finanziert, sollte zunächst mit der Familie sprechen: Ziehen alle mit? Wird der Rücken freigehalten?
Ebenso wichtig ist eine ehrliche Selbsteinschätzung der eigenen Stärken und Schwächen. Diese bestimmen nicht nur, ob das Unternehmertum grundsätzlich passt, sondern auch, welche Art von Unternehmen in Frage kommt.
Stärken vor Branchen: Der generalistische Ansatz
Ein überraschender Rat aus der Praxis: Statt sich auf eine bestimmte Branche zu fokussieren, sollten Käufer eher generalistisch suchen – sofern keine regulatorischen Qualifikationen erforderlich sind.
“Man stellt im Laufe der Suche fest, dass man auf sehr viele Geschäftsmodelle trifft, die man vorher gar nicht ins Auge gefasst hätte. Offen reingehen und das eine oder andere anschauen.”– Hubert Winkler
Die entscheidenden Suchparameter sind oft andere: ein realistischer räumlicher Radius, eine passende Unternehmensgröße gemessen an Mitarbeiterzahl, und eine Kaufpreisvorstellung, die zum verfügbaren Eigenkapital passt.
Unternehmenskauf finanzieren: Warum Eigenkapital unverzichtbar ist
In sozialen Medien kursieren verlockende Versprechen: Unternehmen kaufen ohne Eigenkapital, das komplette Risiko beim Verkäufer abladen. Die Praxis sieht anders aus.
“Ich habe es noch nie erlebt, dass ein abgebender Inhaber auf so eine Struktur eingegangen ist. Das löst erheblichen Unmut aus.” – Hubert Winkler
Der Grund ist psychologisch nachvollziehbar: Bei einer Firmennachfolge geht es um das Lebenswerk des Verkäufers. Wenn der Käufer signalisiert, dass er selbst kein Risiko übernehmen will, entsteht sofort Misstrauen – und der Deal scheitert.
Auch Banken spielen nur mit, wenn der Käufer selbst ins Risiko geht. Die Erfahrung zeigt: Die Zusammenarbeit nach Darlehensgewährung funktioniert deutlich besser, wenn der Kreditnehmer persönlich beteiligt ist.
Frühzeitig Bankenkontakte aufbauen
Ein oft unterschätzter Erfolgsfaktor: Bereits vor der konkreten Unternehmenssuche sollten Kontakte zu Firmenkundenberatern aufgebaut werden. Das spart später Zeit und macht beim Verkäufer einen professionellen Eindruck.
Wer bereits im Erstgespräch sagen kann, dass er sich mit Finanzierungsstrukturen befasst und Bankenkontakte hat, signalisiert: Hier meint es jemand ernst.
Frühzeitige Gespräche mit einer Bürgschaftsbank oder der KFW kann sich auszahlen. Deutschland:
Deal-Quellen: Wo findet man Unternehmen zum Kaufen?
Die Quellenvielfalt für Unternehmensangebote ist größer als viele denken. Neben den klassischen Unternehmensbörsen gibt es überraschende Fundorte.
Klassische Unternehmensbörsen
- Nexxt Change (IHK-Börse)
- Deutsche Unternehmerbörse (DUB)
- Viaductus
- Selvendo (spezialisiert auf kleinere Nachfolgen)
- KERN Unternehmensbörse
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Unkonventionelle Quellen für den Unternehmenskauf
Unternehmen werden teilweise auf eBay Kleinanzeigen, Facebook oder sogar Immobilienportalen angeboten – oft von Inhabern, die nicht wissen, wo sie gezielt nach Nachfolgern suchen sollen. Auch Jobportale können interessant sein, wenn nach “geschäftsführenden Gesellschaftern” gesucht wird.
Ein besonders wertvoller Tipp: Profile bei Steuerberatern und Firmenkundenberatern hinterlegen. Diese sind oft die ersten Ansprechpartner, wenn ein Unternehmer über den Verkauf nachdenkt.
Warum Direktansprachen selten funktionieren
Trotz der demografischen Entwicklung – rechnerisch stehen jährlich 100.000 Unternehmen allein altersbedingt zur Nachfolge – funktionieren Direktansprachen überraschend schlecht.
Der Grund liegt im Vertrauen: Unternehmer befürchten, dass eine direkte Anfrage bedeutet, dass ihr Verkaufswunsch am Markt gestreut wird. Wer dennoch diesen Weg wählt, sollte handgeschriebene, individualisierte Briefe verschicken – Massenansprachen haben kaum Aussicht auf Erfolg.
Selvendo: Die digitale Lösung für kleinere Unternehmensnachfolgen
Gerade bei kleineren Unternehmen mit Kaufpreisen unter einer Million Euro besteht eine Marktlücke: Der klassische, beraterbegleitete Verkaufsprozess über 18 bis 24 Monate steht oft in keinem Verhältnis zum erwarteten Transaktionserlös.
Die Plattform Selvendo adressiert genau dieses Problem mit einem digitalisierten Ansatz. Anders als klassische Börsen, die auf den “glücklichen Zufall” setzen, gefunden zu werden, geht Selvendo aktiv auf die Käufersuche.
Für Kaufinteressenten bietet die Plattform die Möglichkeit, kostenlos zu agieren und sehr schnell in direkten Kontakt mit abgebenden Inhabern zu kommen – ähnlich wie man es aus sozialen Netzwerken kennt.
Die 5 wichtigsten Erkenntnisse für MBI-Kandidaten
1. Der Prozess ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Unternehmensnachfolge ist nicht mit einem Immobilienkauf vergleichbar. Es bleibt immer ein unternehmerisches Restrisiko – und das ist gewollt.
2. Vorbereitung zahlt sich aus. Familie einbinden, Stärken und Schwächen analysieren, Bankenkontakte aufbauen – all das schafft ein Fundament, das später Zeit spart.
3. Offen und generalistisch suchen. Die besten Gelegenheiten findet man oft dort, wo man sie nicht erwartet hätte.
4. Vertrauen ist die Währung. Offen, ehrlich und vertrauensvoll kommunizieren – das schafft die Basis für erfolgreiche Verhandlungen.
5. Irgendwann muss man springen. Erfolgreiche Nachfolger sind diejenigen, die ab einem gewissen Punkt sagen: “Das wird jetzt mein Unternehmen” – und durchziehen.
Fazit: Unternehmensnachfolge als Chance
Die Unternehmensnachfolge bietet eine realistische Alternative zur Neugründung – mit weniger Lehrgeld, etablierten Strukturen und der Möglichkeit, vom Wissen der Vorgänger zu profitieren. Der Markt ist groß: Hunderttausende Unternehmen suchen in den kommenden Jahren Nachfolger.
Wer sich gut vorbereitet, offen an die Suche herangeht und bereit ist, unternehmerisches Risiko zu tragen, findet hier einen der smartesten Wege in die Selbstständigkeit.


